Der Blick zurück: Wie Schweizer Familien kosovarischen Flüchtlingen in den 90er-Jahren halfen

ByimTicker

Samstag, 12. April 2025 , , , ,

Schweizer Unterstützung für Kosovarische Flüchtlinge.

Ein Stück Menschlichkeit: Die Solidarität der Schweiz mit Kosovo-Flüchtlingen

Während des Kosovo-Krieges in den späten 1990er-Jahren öffnete die Schweiz nicht nur ihre Grenzen, sondern auch ihre Herzen. Zehntausende Menschen aus dem Kosovo, vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, suchten Schutz vor Krieg, Vertreibung und Zerstörung – und fanden ihn in der Schweiz. Was viele heute vergessen: Es waren nicht nur Behörden und Organisationen, die halfen. Es waren vor allem Schweizer Familien, die bereit waren, Fremde bei sich aufzunehmen, Essen zu teilen und Menschlichkeit zu zeigen.

Der Beginn einer Flüchtlingswelle

Als 1998 der Konflikt im Kosovo eskalierte, veränderte sich das Leben vieler Menschen von einem Tag auf den anderen. Bomben, ethnische Säuberungen und eine massive Fluchtbewegung erschütterten die Region. Innerhalb weniger Monate waren über 800’000 Kosovaren auf der Flucht. Die Schweiz, die bereits eine kosovarische Diaspora zählte, wurde schnell zu einem der wichtigsten Zufluchtsländer.

Rund 50’000 Flüchtlinge aus dem Kosovo wurden allein zwischen 1998 und 1999 in der Schweiz aufgenommen. Während viele in Notunterkünften, Turnhallen oder Asylzentren untergebracht wurden, entschieden sich Hunderte Schweizer Familien freiwillig dafür, Menschen aus dem Kosovo bei sich aufzunehmen. Für viele von ihnen war es ein Akt der Selbstverständlichkeit, in einer Zeit der Not zu helfen.

Begegnung statt Berührungsangst

Die Aufnahme von Flüchtlingen in privaten Haushalten war mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Es war der Beginn von Beziehungen, die teilweise bis heute andauern. In vielen Dörfern und Städten der Schweiz lebten plötzlich Menschen unter einem Dach, die zuvor völlig unterschiedliche Leben führten – sprachlich, kulturell, sozial.

Eine Familie aus dem Kanton Thurgau erinnert sich bis heute an das Ehepaar Shabani, das sie 1999 aufgenommen haben. „Sie kamen mit einem Koffer, sonst nichts“, erzählt die damalige Gastgeberin. „Aber sie brachten so viel Dankbarkeit mit, dass es uns tief berührte.“

Die ersten Wochen seien nicht einfach gewesen. Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede, Unsicherheiten auf beiden Seiten. Doch schon bald entwickelte sich ein Alltag – mit gemeinsamen Essen, Gesprächen über Erlebtes und einem vorsichtigen, aber stetigen Vertrauensaufbau. Kinder gingen gemeinsam zur Schule, man half sich gegenseitig im Haushalt, lernte voneinander.

Menschlichkeit über Politik

Während politische Debatten über Migration oft von Zahlen, Gesetzen und Kosten bestimmt sind, war diese Form der Hilfe zutiefst menschlich. Sie zeigte, dass gelebte Solidarität jenseits von Ideologien funktioniert. Es ging nicht darum, ob man für oder gegen Migration war – sondern darum, was man in einem Moment der Not tun konnte.

Diese Haltung prägte nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Helfenden. Viele Schweizer Familien berichten rückblickend, dass sie in dieser Zeit selbst enorm viel gelernt haben. Über das Kosovo, über den Krieg, über Resilienz – und über sich selbst.

Die Rolle der kosovarischen Community heute

Heute, rund 25 Jahre später, ist die kosovarische Community fester Bestandteil der Schweizer Gesellschaft. Viele der damals Geflüchteten haben hier eine neue Heimat gefunden, sind integriert, berufstätig, haben Familien gegründet. Sie tragen zum sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Schweiz bei.

Ein grosser Teil von ihnen vergisst nicht, wie sie einst empfangen wurden. In zahlreichen Städten engagieren sich kosovarisch-stämmige Menschen heute in der Flüchtlingshilfe, sei es durch Dolmetschdienste, Mentoring-Programme oder als Ansprechpersonen in der Nachbarschaft. Der Kreis der Solidarität hat sich geschlossen – aus Empfängern wurden Helfer.

Erinnern heisst verbinden

Gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft polarisiert ist und das Thema Migration oft mit Ängsten besetzt ist, lohnt sich der Blick zurück. Die Geschichte der Kosovo-Flüchtlinge in der Schweiz ist ein Beispiel dafür, dass Integration gelingen kann – wenn man sich aufeinander einlässt.

Viele Schweizer Familien, die damals geholfen haben, stehen auch heute noch in Kontakt mit den Menschen, die sie aufgenommen haben. Es sind Freundschaften entstanden, manchmal gar familiäre Bindungen. „Wir feiern jedes Jahr gemeinsam“, sagt ein Gastgeber aus dem Kanton Bern. „Ihre Enkel nennen mich Grosspapi. Und das ist das Schönste.“

Appell an die neue Generation

Für viele junge Kosovaren in der Schweiz ist die Fluchtgeschichte ihrer Eltern oder Grosseltern weit entfernt – geografisch und emotional. Doch sie prägt ihr Leben bis heute. Deshalb ist es wichtig, diese Geschichten zu bewahren und weiterzugeben.

Der Blick zurück ist nicht nur Erinnerung, sondern auch ein Ansporn. Die damalige Hilfsbereitschaft zeigt, wie stark gesellschaftlicher Zusammenhalt sein kann. Sie ist ein Vorbild für heutige Herausforderungen – sei es bei der Aufnahme neuer Flüchtlinge oder beim täglichen Zusammenleben verschiedener Kulturen.

Der Kosovo-Krieg hat unermessliches Leid gebracht – aber auch Momente grosser Menschlichkeit hervorgebracht. Und diese Menschlichkeit lebt weiter, in den Beziehungen zwischen Schweizer und kosovarischen Familien, im Engagement der Community, in der Offenheit für neue Geschichten.

Verpasse keine News mehr! Aktiviere unseren kostenlosen Whatsapp-Kanal

Die mobile Version verlassen