Moderne Fahrassistenten warnen, blinken, piepen – doch wie sinnvoll sind sie wirklich?
Ob Notbremsassistent, Spurhaltewarner oder Müdigkeitserkennung – moderne Autos sind mit immer mehr Sicherheitsassistenten ausgestattet. Sie sollen Unfälle vermeiden und Leben retten. Doch viele Fahrerinnen und Fahrer erleben die digitalen Helfer als aufdringlich, laut oder störend. Die Diskussion spaltet die Fahrergemeinde: Wie hilfreich sind Assistenzsysteme wirklich? Und lassen sie sich abschalten?
In den letzten zehn Jahren haben sich Assistenzsysteme in der Fahrzeugindustrie rasant verbreitet. Was früher Oberklassefahrzeugen vorbehalten war, gehört heute zum Serienumfang vieler Kompaktmodelle. EU-Vorgaben und die neue Typengenehmigungsverordnung machen Systeme wie Notbremsassistent, Spurverlassenswarner und Müdigkeitserkennung bei Neuwagen teils verpflichtend.
Das Ziel ist klar: Unfälle verhindern, Leben retten, Risiken minimieren. Studien der Europäischen Kommission zeigen, dass bis zu 20 % der tödlichen Verkehrsunfälle durch Assistenzsysteme verhindert oder abgeschwächt werden können. Auch die Schweizer Unfallstatistik zeigt Rückgänge bei Auffahr- und Spurwechselunfällen, besonders bei Fahrzeugen mit aktivierten Assistenzsystemen.
Doch die Realität auf der Strasse ist ambivalenter. Viele Fahrer berichten von permanentem Piepsen, blinkenden Symbolen oder Eingriffen in das Fahrverhalten, die als störend empfunden werden. Besonders Spurhalteassistenten oder Aufmerksamkeitswarner führen in engen Kurven, auf schmalen Landstrassen oder bei Müdigkeit oft zu Fehlalarmen – oder ungewolltem Lenkeingriff.
Was als Schutz gedacht ist, wird zur Überforderung oder sogar zur Ablenkung. Laut TCS-Befragungen wünschen sich viele Autofahrende eine klarere Kontrolle über die Systeme – etwa durch individuelle Abschaltmöglichkeiten oder feinere Einstellungsoptionen.
Ob und wie ein System deaktivierbar ist, hängt vom Hersteller und Modell ab. Grundsätzlich gilt:
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Temporäres Abschalten: Die meisten Systeme lassen sich für die jeweilige Fahrt deaktivieren (z. B. Spurhalteassistent per Knopfdruck). Nach Neustart aktivieren sie sich oft automatisch wieder.
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Dauerhafte Deaktivierung: Selten möglich – oft nur durch Codierung über Werkstatt oder Diagnosegeräte.
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Pflichtsysteme: EU-weit vorgeschriebene Funktionen wie Notbremsassistenten dürfen nicht vollständig deaktiviert werden – aus Sicherheitsgründen.
Einige Hersteller – wie Volkswagen, BMW oder Tesla – bieten mittlerweile „individuelle Profile“ an, mit denen sich Assistenten je nach Fahrerpräferenz automatisch ein- oder ausschalten lassen.
Verkehrssicherheitsorganisationen wie der DVR (Deutschland) oder RoadCross Schweiz betonen: Assistenzsysteme sind kein Ersatz für aufmerksames Fahren, aber ein wertvoller Zusatzschutz. Besonders ältere Fahrer profitieren nachweislich von Notbremsassistenten und Toter-Winkel-Warnern.
Kritiker monieren dagegen den Zwangscharakter mancher Systeme und die zunehmende technische Entmündigung des Fahrers. Zudem ist die Benutzerfreundlichkeit oft mangelhaft – verwirrende Menüstrukturen oder akustische Überflutung erschweren den intuitiven Umgang.
Die Autoindustrie steht vor einem Spagat: Mehr Sicherheit ja – aber mit mehr Nutzerkontrolle. Neue KI-gestützte Systeme wie predictive driving assistants könnten hier Abhilfe schaffen: Sie lernen vom Fahrverhalten und melden sich nur dann, wenn echte Gefahr besteht.
Sicherheitsassistenten sind ein Fortschritt – aber nicht frei von Tücken. Sie können Leben retten, wirken aber auch übergriffig und störend. Die Zukunft liegt in einer intelligenten, situationsabhängigen Assistenz, die sich an den Menschen anpasst, nicht umgekehrt. Bis dahin bleibt für viele das Piepskonzert ein notwendiges Übel auf dem Weg zur unfallfreien Mobilität.
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