Warum Telegram als Schwurbler-Kanal gilt


Telegram (Symbolbild)

Freiheitsversprechen oder Desinformationsdrehscheibe? Telegram steht in der Kritik

Telegram, ein ursprünglich aus Russland stammender Messaging-Dienst, wird seit der Corona-Pandemie häufig mit Verschwörungstheorien, Falschinformationen und sogenannten „Schwurbler“-Gruppen in Verbindung gebracht. Der Begriff „Schwurbler“ steht dabei umgangssprachlich für Personen, die pseudowissenschaftliche, esoterische oder verschwörungsideologische Ansichten vertreten. Warum Telegram als deren bevorzugte Plattform gilt, ist vielschichtig – und lässt sich anhand von Nutzungsstruktur, Regulierungslücken und medialer Wahrnehmung erklären.

Telegram wurde 2013 von den Brüdern Nikolai und Pawel Durow gegründet – mit dem Anspruch, eine sichere, verschlüsselte und zensurfreie Plattform zu bieten. Anders als klassische Messenger-Dienste erlaubt Telegram Gruppen mit unbegrenzter Teilnehmerzahl und öffentlich auffindbare Kanäle – Funktionen, die das System zum sozialen Netzwerk erweitern.

Mit Beginn der Corona-Pandemie 2020 wurden zahlreiche Telegram-Kanäle zum Sammelbecken für Impfgegner, Querdenker, Esoteriker, aber auch für rechtsextreme Gruppierungen. Forscher der Universität Zürich (2022) und des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ, 2021) identifizierten Telegram als Hauptplattform für verschwörungsideologische Mobilisierung in der DACH-Region.

Die Kombination aus Reichweite, Anonymität und fehlender Moderation macht Telegram besonders attraktiv für Gruppen, die sich von etablierten Medien und Plattformregeln ausgeschlossen fühlen.

In den letzten Jahren wurde Telegram in zahlreichen Medienberichten (z. B. ARD-Monitor, NZZ, SRF) als „Schwurbler-Kanal“ bezeichnet. Diese Einordnung basiert nicht auf dem technischen System, sondern auf den Inhalten vieler öffentlicher Kanäle:

  • Anti-Impf-Propaganda

  • Corona-Leugnung

  • Desinformation zu Ukraine-Krieg, Klimawandel oder Migration

  • Antisemitische oder staatsfeindliche Narrative

Ein Bericht der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (bpb, 2023) beschreibt Telegram als „zentralen Knotenpunkt“ für verschwörungsideologische Echokammern. Auch österreichische Sicherheitsbehörden (2022) berichteten über vermehrte Radikalisierungstendenzen, insbesondere in Verbindung mit Demonstrationsaufrufen.

Gleichzeitig nutzen auch ganz normale Bürger Telegram – privat oder beruflich. Doch öffentliche Meinung wird stark durch Extrembeispiele geprägt.

Studien, Zahlen und Plattformanalyse

Laut einer Studie des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Universität Wien (2023) enthalten über 40 % der untersuchten Beiträge in populären deutschsprachigen Telegram-Kanälen nachweislich Desinformation oder unbelegte Behauptungen.

Ein Bericht des Center for Monitoring, Analysis and Strategy (CeMAS) dokumentierte 2022, dass Kanäle mit verschwörungsideologischen Inhalten über Hunderttausende Follower erreichen – vergleichbar mit klassischen Medienmarken.

Telegram selbst reagierte in Einzelfällen auf Druck staatlicher Stellen – etwa durch die Sperrung extremistischer Inhalte in Brasilien oder Deutschland –, verweist aber generell auf seine Neutralität und seinen Fokus auf Meinungsfreiheit. Die Plattform betreibt kein aktives Fact-Checking oder Inhaltefilterung.

Nutzung jenseits von Ideologien

Nicht alle, die Telegram nutzen, sind Schwurbler – doch viele, die sich als Schwurbler verstehen, nutzen Telegram. Diese Unterscheidung ist entscheidend.

Während Journalist:innen, Vereine, lokale Gruppen oder Unternehmen Telegram wegen seiner Reichweite und Funktionen schätzen, können sich problematische Inhalte parallel ungestört verbreiten. Eine Nutzerin sagte dem Deutschlandfunk (2023): „Ich folge Kanälen über Datenschutz, aber es gibt immer wieder Grenzüberschreitungen, die mich abschrecken.“

Telegram bietet keinen Meldeknopf wie bei Facebook oder YouTube. Nutzer sind stärker auf Eigenverantwortung und Quellenkritik angewiesen – was gerade bei jüngeren oder digital weniger versierten Gruppen problematisch sein kann.

Telegram ist technisch gesehen ein vielseitiger Messenger, praktisch aber zur wichtigsten Plattform für Desinformation und verschwörungsideologische Kommunikation im deutschsprachigen Raum geworden. Die pauschale Abwertung als „Schwurbler-Kanal“ trifft nicht alle Nutzer, spiegelt aber eine besorgniserregende Entwicklung wider: Das Fehlen effektiver Moderation und Regulierung öffnet Tür und Tor für gezielte Desinformation.

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