Zwischen Vorurteil und Wirklichkeit – die Debatte um das Image des öffentlichen Dienstes
Ob am Stammtisch, in Online-Foren oder unter Kolleg:innen in der Privatwirtschaft – Staats- und Kantonsangestellten wird oft ein schlechtes Image angehängt: Sie seien „träge“, „überbezahlt“ oder „unbrauchbar“. Doch woher kommt dieses Klischee? Und stimmt es überhaupt? Eine differenzierte Betrachtung zeigt: Zwischen populärem Vorwurf und Realität liegen Welten – aber auch strukturelle Herausforderungen.
In der Schweiz arbeiten rund 12 % der Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst, also bei Bund, Kantonen oder Gemeinden. Das Spektrum reicht von Verwaltungsmitarbeitenden über Lehrer:innen, Polizist:innen, Pflegepersonal bis hin zu Techniker:innen. Viele dieser Tätigkeiten unterliegen hohem Regulierungsdruck, öffentlicher Kontrolle und geringer Autonomie.
Die Bezeichnung „faul“ oder „unnütz“ ist historisch gewachsen – sie speist sich aus einer Mischung aus Wirtschaftsliberalismus, Neid, Bürokratieerfahrungen und medialer Verzerrung. Insbesondere dort, wo Prozesse langsam oder unverständlich wirken (z. B. Baugesuche, Steueramt, Sozialhilfe), entsteht beim Bürger oft der Eindruck: „Da passiert nichts.“
Warum dieses Image existiert:
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Unterschiedliches Arbeitstempo: In der Privatwirtschaft herrscht häufig Leistungsdruck, Optimierungsdruck und Gewinnorientierung – öffentliche Verwaltung arbeitet prozess- und rechtsbasiert.
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Kaum sichtbare Ergebnisse: Während private Angestellte „Erfolg“ (Umsatz, Wachstum) oft direkt messen, sind Erfolge in der Verwaltung abstrakt (z. B. korrekte Aktenführung).
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Kündigungsschutz und Stellenstabilität: Sicherere Anstellungsverhältnisse führen zu Neid und dem Vorwurf mangelnder Leistungsbereitschaft.
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Negative Einzelfälle prägen das Gesamtbild: Überzogene Medienberichte zu „Pausenmentalität“ oder „Lohn ohne Leistung“ verzerren die Gesamtwahrnehmung.
Was die Realität zeigt:
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Studien wie jene der ZHAW (2022) belegen: Staatsangestellte arbeiten im Schnitt nicht weniger produktiv, allerdings unter anderen Zielvorgaben.
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In systemrelevanten Bereichen wie Bildung, Pflege, Sicherheit ist der öffentliche Dienst besonders belastet – psychisch wie physisch.
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Der Krankenstand ist ähnlich hoch oder sogar höher als in der Privatwirtschaft – bedingt durch emotional herausfordernde Arbeit.
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Öffentliche Angestellte verdienen in vielen Kantonen weniger als gleichqualifizierte Privatangestellte, insbesondere im mittleren Kader.
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Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt laut BFS (2023) bei 41,7 Stunden im öffentlichen Dienst, nahezu identisch zur Privatwirtschaft.
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Der Frauenanteil ist mit über 55 % überdurchschnittlich hoch – insbesondere in Teilzeitmodellen.
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Das Image ist länderspezifisch: In Skandinavien gilt der Staatsdienst als hochprofessionell, in Südeuropa hingegen als überlastet.
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Ein Trend: Immer mehr Quereinsteiger:innen aus der Privatwirtschaft wechseln in den Staatsdienst – wegen Sinnhaftigkeit und Stabilität.
Viele Bürger:innen haben wenig direkten Kontakt mit dem Verwaltungsapparat – oder nur in Stresssituationen: bei Bussen, Formularen, Ablehnungen. Der Eindruck träge oder unfreundlich behandelt worden zu sein, überträgt sich dann schnell auf „den Staat“. Doch was dabei oft vergessen wird: Viele Verwaltungsstellen sind unterbesetzt, rechtlich eingeschränkt und digital überlastet – und dennoch bemüht.
Lehrer:innen, Sachbearbeiter:innen, Verkehrsplaner oder Gerichtsschreiber arbeiten mit Sorgfalt, aber unter Bedingungen, die sich fundamental von jenen der Privatwirtschaft unterscheiden. Das Missverständnis entsteht dort, wo Leistung nicht sichtbar ist – aber trotzdem jeden Tag erbracht wird.
Das Vorurteil vom „faulen Staatsangestellten“ ist ein Mythos, der sich hartnäckig hält – gespeist von Einzelfällen, medialem Dauerfeuer und wirtschaftlichem Unverständnis. In Wirklichkeit braucht ein moderner Staat hochqualifiziertes Personal – das Verantwortung übernimmt, oft im Schatten und selten mit Applaus. Wer diesen Dienst abwertet, schadet dem Gemeinwesen – und verkennt die Realität.
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