Sexuelle Nötigung: Richterin entlässt Jury nach Beschwerde über Verhalten der Verteidigung
Im Strafprozess gegen fünf kanadische Eishockeyspieler wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung hat die zuständige Richterin am Obersten Gerichtshof von Ontario entschieden, das Verfahren ohne Jury fortzusetzen. Die Entscheidung fiel, nachdem ein Geschworener mit einer Beschwerde auf das Verhalten der Verteidigung aufmerksam gemacht hatte. Die Vorwürfe gegen die Spieler stehen im Zusammenhang mit einem Vorfall aus dem Jahr 2018 bei einer Gala von Hockey Canada in London, Ontario.
Der Fall hat seit seiner öffentlichen Bekanntmachung landesweit hohe Aufmerksamkeit erregt. Im Zentrum steht ein mutmasslicher Vorfall in einem Hotelzimmer während einer Veranstaltung zur Feier des Weltmeistertitels der kanadischen Junioren-Nationalmannschaft. Die angeklagten Spieler – Michael McLeod, Dillon Dube, Carter Hart, Cal Foote und Alex Formenton – wurden Anfang 2024 offiziell wegen sexueller Nötigung angeklagt. McLeod wird zusätzlich Mittäterschaft vorgeworfen.
Der betroffene Vorfall soll im Anschluss an die Feierlichkeiten stattgefunden haben. Dabei sei eine damals 20-jährige Frau in einem Zustand gewesen, in dem sie sich laut Anklage den sexuellen Handlungen nicht freiwillig habe unterziehen können. Die Spieler sollen laut Anklage keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gehabt haben, dass eine Einwilligung vorlag. Die Frau selbst sagte aus, sie sei verängstigt, betrunken und nackt gewesen.
Laut apnews.com reichte ein Geschworener am Donnerstag eine Notiz ein, in der er erklärte, dass mehrere Mitglieder der Jury das Verhalten der Verteidiger als respektlos und einschüchternd empfanden. Die Verteidiger sollen einige Geschworene beim Betreten des Gerichtssaals ausgelacht oder kritisch beäugt haben. Die Richterin Maria Carroccia teilte mit, sie habe selbst kein Fehlverhalten beobachtet, kam aber zum Schluss, dass der Eindruck bei der Jury deren Unparteilichkeit gefährde. Da das Vertrauensverhältnis als gestört gilt, wird der Prozess nun ohne Geschworene fortgesetzt.
Das Verfahren wird ab sofort im Rahmen eines sogenannten „Richterprozesses“ weitergeführt – eine in Kanada zulässige Form, bei der das Urteil allein durch die Richterin gefällt wird. Dieser Wechsel ist ungewöhnlich, aber zulässig, wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass eine faire Urteilsfindung durch eine Jury nicht mehr gewährleistet ist.
Bereits 2019 wurde eine erste polizeiliche Untersuchung eingeleitet, jedoch ohne Anklage abgeschlossen. Auch Hockey Canada startete eine interne Untersuchung, stellte diese 2020 jedoch ein, nachdem die betroffene Frau sich nicht aktiv daran beteiligte. Erst 2022 wurde die Angelegenheit wieder aufgenommen – ausgelöst durch öffentliche Kritik an einer aussergerichtlichen Einigung zwischen Hockey Canada und der Frau.
Die Ermittlungen wurden intensiviert, und Anfang 2024 erhob die Polizei auf Grundlage neuer Erkenntnisse formell Anklage. Die genaue Natur der neuen Beweise wurde bislang nicht öffentlich gemacht. Der Fall steht beispielhaft für die laufende Diskussion über Machtstrukturen, Konsens und Transparenz im Sportumfeld.
Die Entlassung der Jury in einem so aufsehenerregenden Prozess stellt eine aussergewöhnliche Entwicklung dar – nicht nur juristisch, sondern auch im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung. Das Verfahren gegen die fünf ehemaligen Hockey-Nationalspieler wird nun allein durch Richterin Carroccia entschieden. Der Prozessverlauf wird weiter kritisch beobachtet, da er über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Fragen zur Verantwortung in Sport und Gesellschaft aufwirft.




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