Zwei-Klassen-Medizin: Wenn die Versicherung über Tempo und Ton entscheidet
Privatversicherte kommen im Spital schneller dran, erhalten freundlichere Betreuung und manchmal sogar die bessere Behandlung. Was viele ahnen, bestätigt nun das Personal selbst – anonym, aber deutlich.
„Privat kommt zuerst“ – Der Alltag im Schweizer Spitalbetrieb
„Es ist ganz klar: Wer privatversichert ist, wird bevorzugt behandelt.“ So lautet die Aussage einer Pflegefachfrau, die anonym bleiben möchte. Laut ihr beginnt die Ungleichbehandlung bereits bei der Zimmervergabe. Während Kassenpatient:innen oft in Mehrbettzimmern landen, dürfen sich Privatversicherte auf Einzelzimmer mit besserer Ausstattung freuen.
Doch es bleibt nicht bei Komfort: Auch medizinisch gebe es Unterschiede. „Privatpatient:innen werden von den Chefärzten persönlich betreut. Die restlichen müssen sich mit Assistenzärzten zufriedengeben.“ Aussagen wie diese häufen sich in Gesprächen mit Klinikpersonal aus der ganzen Schweiz.
Zeit ist Geld – und Privat zahlt besser
Ein weiteres Indiz für die Zwei-Klassen-Medizin: die Wartezeiten. „Bei planbaren Eingriffen haben Privatversicherte deutliche Vorteile. Termine sind schneller verfügbar, es wird eher auf individuelle Wünsche eingegangen.“ Die Priorisierung erfolgt dabei nicht nur aus Service-Gründen, sondern auch aus wirtschaftlichem Interesse: Private Zusatzversicherungen bringen den Spitälern deutlich mehr Geld.
Personal zwischen Anspruch und Alltag
„Wir wollen alle Patient:innen gleich behandeln, aber das System macht es fast unmöglich.“ Diese Aussage stammt von einem jungen Assistenzarzt, der besonders die psychische Belastung der Pflegekräfte betont. „Wir müssen Erwartungen erfüllen, die sich widersprechen.“
Ein Beispiel: Eine Krankenschwester berichtet, dass sie für eine privatversicherte Patientin mehr Zeit zum Gespräch einplanen müsse – obwohl auf der Station akuter Personalmangel herrsche. „Das geht zwangsläufig auf Kosten anderer.“
Was sagt die Politik?
Offiziell gilt das Solidarprinzip in der Schweizer Gesundheitsversorgung. Doch immer mehr Stimmen fordern Reformen, um die zunehmende Ungleichheit zu stoppen. Die Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen prüft derzeit, inwiefern private Zusatzversicherungen zu einer „systematischen Bevorteilung“ führen.
Ein internes Positionspapier, das imticker.ch vorliegt, weist auf „gravierende Unterschiede“ in der Versorgungsrealität hin. Eine Angleichung sei „dringend geboten“, heisst es dort.
Zwischen Wirtschaftlichkeit und Werten
Die Debatte ist komplex. Spitäler müssen wirtschaftlich denken – doch dürfen dabei ethische Grundsätze nicht verlieren. „Wir brauchen transparente Regeln und klare Grenzen“, sagt Gesundheitsökonomin Petra H.*. Sie fordert, dass medizinische Leistungen unabhängig vom Versicherungsstatus erbracht werden müssen.
Schluss: Was bleibt?
Die Zwei-Klassen-Medizin ist längst Realität – auch wenn sie offiziell niemand eingestehen will. Das Gesundheitssystem der Schweiz steht an einem Scheideweg: Bleibt die Versorgung für alle gleich, oder driftet sie weiter auseinander?
Patient:innen, Personal und Politik sind gefordert, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Denn Gesundheit darf keine Frage des Geldes sein.
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